TRIGGER-Warnung: Ich schreibe \u00fcber Suizid, Trauer und Tod. <\/p>\n\n\n\n
Das ist der schwierigste, traurigste und befreiendste Blogbeitrag den ich je geschrieben habe. F\u00fcr mich ist das Schreiben \u00fcber meine Gef\u00fchle eine Therapie. Aber dieser Blogbeitrag ist nicht nur f\u00fcr mich, er ist auch f\u00fcr Dich mein kleiner Bruder. Ich vermisse Dich so unglaublich! <\/p>\n\n\n\n
Gehen wir zur\u00fcck zu dem Tag an dem ich die Nachricht bekam: der 16. Dezember 2020. Am 16. Dezember also sollte sich alles \u00e4ndern. Ich hatte sowieso schon ein schlechtes Gewissen, weil meine (andere) Oma ihren 80. Geburtstag feierte und ich noch nicht angerufen hatte. Es k\u00fcndigte sich mit einer WhatsApp-Nachricht von meinem Vater an: “Ist Dennis gerade bei dir?” Es war Abend und meine Mama wohnt 1 1\/2 Stunden entfernt. Ich wollte nicht, dass sie alleine ist, wenn die Polizei und der Seelsorger sie besucht hatten. So beschlossen wir, dass Dennis mit Emily losfahren und sie zu uns holen w\u00fcrde. Ich k\u00fcmmerte mich derweil um Feenja, lag einfach nur gel\u00e4hmt und weinend im Bett neben ihr. Mit einem guten Freund konnte ich zum Gl\u00fcck direkt dar\u00fcber schreiben, es half mir sehr die Zeit zu \u00fcberbr\u00fccken. Dann beschloss ich meine Mama selbst anzurufen, bevor Dennis oder die Polizei kommen w\u00fcrden. Aber nicht solange sie noch bei meiner Oma feierte. Das Telefonat war schrecklich f\u00fcr uns beide, aber ich bin trotzdem froh, dass ich das \u00fcbernommen hatte. Ich blieb so lange mit ihr am H\u00f6rer bis Dennis ankam – tats\u00e4chlich gleichzeitig mit der Polizei. Eigentlich wollte sie erst nicht mit zu uns, aber im Nachhinein war sie dann doch froh nicht alleine zu sein. Die n\u00e4chsten Tage \u00fcberlebten wir eigentlich alle nur irgendwie. Dennis, Mama und Papa nahmen sich Urlaub, wir telefonierten viel, schwiegen gemeinsam, weinten. Keiner von uns konnte oder wollte es glauben. Schon ab dem ersten Tag mussten meine Eltern vieles regeln. Der K\u00f6rper meines Bruders wurde erst mal von der Staatsanwaltschaft \u00fcbernommen, um zu untersuchen ob keine Straftat vorlag. Es ist so viel zu tun wenn ein Mensch stirbt… \u00dcberf\u00fchrung, willst du den Toten noch einmal sehen?, Sarg oder Urne?, Totenschein, Beerdigung – und die Trauer? Wo bleibe ich mit meinem Schock und meiner Trauer? Kann ich so schnell \u00fcberhaupt schon trauern? Nicht mal einen Monat sp\u00e4ter, also fast zu schnell am 7. Januar, beerdigten wir meinen Bruder im engsten Familienkreis in einem wundersch\u00f6nen Friedwald. Sein Baum ist ein wenig versteckt und sehr gerade; meine Eltern haben genau den richtigen Platz ausgesucht. Mein zweiter j\u00fcngerer Bruder hatte ein sehr sch\u00f6nes Bild gestaltet, welches wir am Andachtsplatz aufstellten. Die beiden standen sich sehr nahe, schon von kleinauf. W\u00e4hrend der gesamten Beerdigung stand ich v\u00f6llig neben mir und auch danach wollte ich einfach nicht wahr haben, dass das die Asche meines Bruders in der Urne ist. Trotzdem half uns dieser kleine Abschied in der Trauer ein St\u00fcckchen weiterzugehen. Wir durften eine Kleinigkeit mit ins Grab legen. Ich schrieb ihm einen Brief und faltete daraus eine Origami-Lilie, die er als Kind so oft bastelte und uns schenkte. Emily und mein kleinster Halbbruder spielten um uns herum im Wald und lockerten so die traurige Stimmung etwas auf. Das hat uns glaube ich allen gut getan. Ich hoffe da wo du jetzt bist hast Du sch\u00f6ne Tr\u00e4ume und den Frieden, den Du Dir gew\u00fcnscht hast kleiner Bruder! <\/p>\n\n\n\n Mit dem Ausr\u00e4umen seines WG-Zimmer und dem Beginn des Fr\u00fchlings kann ich nun irgendwie akzeptieren, dass er tot ist. Annehmen mag ich es noch nicht so recht. Der Suizid hat mich ver\u00e4ndert. Die genauen Auswirkungen kenne ich noch nicht alle, aber ich denke nun anders \u00fcber den Tod. Zum einen habe ich gesehen was ein unangek\u00fcndigter Suizid mit den Hinterbliebenen macht – ich werde nie wieder dar\u00fcber nachdenken mich selbst t\u00f6ten zu wollen! An dem Punkt stand ich schon einige Male, das k\u00f6nnt ihr sogar hier<\/a> nachlesen. Zum anderen habe ich mich viel mit dem Thema besch\u00e4ftigt und habe keine Angst mehr vor dem Tod. Im Gegenteil, ich kann das Leben viel mehr annehmen und leben, wenn ich wei\u00df es ist irgendwann vorbei. Und das ist beruhigend und gut so. Ich will ja gar nicht ewig leben. Am Ende dieses Beitrages fehlen mir die Worte, so wie sie mir zu dem Suizid meines Bruders irgendwie fehlen. Aber ich m\u00f6chte dieses wichtige Thema nicht unausgesprochen lassen. Solltest du also merken, dass es dir schlecht geht oder jemandem in deiner Familie\/deinem Bekanntenkreis, dann wende dich an die Telefonseelsorge, die immer erreichbar ist: Die TelefonSeelsorge\u00ae<\/sup> ist f\u00fcr jeden da, f\u00fcr alte und junge Menschen, Berufst\u00e4tige, Hausfrauen, Auszubildende oder Rentner, f\u00fcr Menschen jeder Glaubensgemeinschaft und auch f\u00fcr Menschen ohne Kirchenzugeh\u00f6rigkeit. Rund eine Million Gespr\u00e4che werden jedes Jahr gef\u00fchrt, kostenfrei und rund um die Uhr. Denn Sorgen wiegen schwer und sie richten sich nicht nach Tages- oder \u00d6ffnungszeiten. Daf\u00fcr haben wir auch mitten in der Nacht ein offenes Ohr. Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind sich ihrer verantwortungsvollen Aufgabe bewusst und nehmen Ihren Anruf ernst \u2013 egal, ob um acht Uhr morgens oder um Mitternacht.<\/p>\n\n\n\n F\u00fchl Dich lieb gedr\u00fcckt und bleib gesund TRIGGER-Warnung: Ich schreibe \u00fcber Suizid, Trauer und Tod.
2020 war sowieso schon ein seltsames Jahr. Erst Corona (ja, ich wei\u00df, das b\u00f6se C-Wort!), dann starb meine geliebte Oma an ihrer dritten Krebserkrankung. Sie war so eine starke Frau! Mich wurmt es bis heute, dass ich mich \u00fcber FaceTime verabschieden musste und meinen Bruder auf der Beerdigung nicht umarmt habe. Da hatte ich ihn das letzte Mal lebend gesehen. Am 22. September kam schlie\u00dflich meine zweite Tochter auf die Welt in dieser wunderbar \u00fcberw\u00e4ltigenden Hausgeburt<\/a>. Das Wochenbett und die Zeit dar\u00fcber hinaus waren sehr anstrengend und der Alltag teilweise kaum zu bew\u00e4ltigen. Aber das ist eine andere Geschichte – f\u00fcr diese ist eigentlich nur wichtig zu wissen, dass ich sowieso schon \u00fcberlastet und \u00fcberfordert war. <\/p>\n\n\n\nDie schreckliche Nachricht<\/h3>\n\n\n\n
Irgendwie seltsam, kein Hallo und nix – hatte wer von uns beiden was angestellt und ich hatte es nicht mitbekommen? In mir machte sich ein seltsam flaues Gef\u00fchl in der Magengegend breit. Ich antwortete: “Ja der ist im Home-Office. Wieso?” Mein Vater: “K\u00f6nnen wir telefonieren?” Ich: “Klar”
Ich war mir ziemlich sicher, dass irgendetwas nicht stimmte. Dann klingelte mein Handy und Papa h\u00f6rte sich irgendwie leise und bedr\u00fcckt an. Er bat mich darum mich hinzusetzen, also nahm ich am Wohnzimmertisch Platz und best\u00e4tigte dies. Dann erz\u00e4hlte er es mir: “Es ist etwas schreckliches passiert… Der Max hat sich umgebracht.” Stille. Ich starrte ins halbdunkle Wohnzimmer und versuchte in meinem Gehirn irgendwie einzuordnen was ich gerade geh\u00f6rt hatte. Meine Gedanken sprangen zu meinen beiden Br\u00fcdern Max und Felix, irgendwie brachte ich das Gesagte nicht mit meinem Bruder zusammen. Ich brachte nur ein ersticktes “Was?” heraus. Und ich glaube dann sickerte es langsam durch und ich fragte mehrmals nach, sagte immer wieder “Nicht mein Max!”. “Was hat er denn gemacht?” Er hatte sich ein Hotelzimmer genommen, sich seinen Anzug angezogen und mit Helium erstickt. Mein Vater weinte, ich weinte… es war ein einziger Schock. Ich lief mit dem Handy irgendwie im Wohnzimmer umher und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Das konnte und wollte ich nicht glauben! Nachdem wir noch ein wenig geredet hatten kamen wir drauf: Mama wei\u00df es noch nicht! Schei\u00dfe, sie feierte gerade bei meiner Oma den Geburtstag und hatte keine Ahnung. Felix hatte es durch die Polizei und einen Seelsorger erfahren, mein Vater genauso. Meine Mutter hatten sie noch nicht benachrichtigen k\u00f6nnen, da sie ja nicht zu Hause war. Von mir hatte die Polizei keine Adresse, daher \u00fcbernahm mein Vater den Anruf. Dennis kam im Laufe des Gespr\u00e4chs aus dem B\u00fcro runter und legte die H\u00e4nde auf meine Schultern, sp\u00e4ter redete er noch mit Papa am Handy. Mein einziger Gedanke im Kopf war – was ist mit Mama? Was – wie machen wir das blo\u00df? Au\u00dferdem erz\u00e4hlte Papa, dass es einen Abschiedsbrief gebe, aber da stehe nicht drin warum mein Bruder sich get\u00f6tet hatte. Er sendete mir ein Foto davon. Ihn zu lesen war schrecklich, aber auch ich fand keinen Anhaltspunkt: Warum? <\/p>\n\n\n\nZusammenhalt<\/h3>\n\n\n\n
Ich versuchte viel zu reden, ich schlief schlecht, abends hatte ich teilweise einen Verwesungsgeruch in der Nase und anfangs weinte ich jeden Tag. Mein Bruder sollte nicht mehr da sein? Wieso? Das ergibt doch keinen Sinn? Warum? Wie h\u00e4tten wir das verhindern k\u00f6nnen?
Pl\u00f6tzlich hielten wir alle ganz eng zusammen. Meine Eltern redeten wieder miteinander, meine Mutter konnte sogar mit meiner Bonusmama sprechen. Dennis war der Fels in der Brandung und das ist er immer noch. Ich bin so dankbar f\u00fcr die vielen liebevollen Menschen in meinem Leben, die sofort Unterst\u00fctzung und Hilfe anboten und einfach da waren. Einige wenige haben sich zur\u00fcckgezogen, was ich vollkommen verstehen kann. Leider gab es auch eine nahestehende Person, die damit gar nichts anfangen konnte; uns mit ihren Themen zus\u00e4tzlich sehr belastete und kein Verst\u00e4ndnis f\u00fcr die Situation aufbringen konnte. Das ist aber eine pers\u00f6nliche Geschichte, \u00fcber die ich in diesem Beitrag nicht schreiben m\u00f6chte. <\/p>\n\n\n\nDer Friedwald<\/h3>\n\n\n\n
Meine Mama brachte die Traumsteine meines Bruders mit, die fr\u00fcher immer unter seinem Kopfkissen lagen. Vor dem schlafen gehen sagte er immer seinen Spruch: “Ich w\u00fcnsch’ Dir ganz viel Gl\u00fcck, damit Du ganz viele sch\u00f6ne Tr\u00e4ume hast!” Das w\u00fcnschte ich ihm nun ein letztes Mal. <\/p>\n\n\n\nDie Ver\u00e4nderung<\/h3>\n\n\n\n
Was mich auch nicht mehr arg belastet ist Corona oder dass Feenja \u00f6fter anstrengend ist. All diese Probleme kommen mir jetzt oft klein und nichtig vor. Es sind trotzdem anstrengende Hindernisse im Alltag, aber ganz ehrlich – ich w\u00fcrde ein dauerhaftes Leben mit Pandemie und Ma\u00dfnahmen und Schlafmangel sofort eintauschen, wenn daf\u00fcr mein Bruder wieder leben w\u00fcrde. Ich bin teilweise schon wieder der fr\u00f6hliche Mensch, der ich vor dem Suizid war, aber die Trauer wird f\u00fcr immer mein st\u00e4ndiger Begleiter sein und mich mal mehr, mal weniger einnehmen.
Es hat mir gezeigt auf wen aus meiner Familie und von meinen Freunden ich mich verlassen kann und wo ich Unterst\u00fctzung bekomme. Mit vielen f\u00fchle ich mich jetzt enger verbunden als vorher. <\/p>\n\n\n\n
<\/p>\n\n\n\nPer Telefon 0800 \/ 111 0 111<\/a> , 0800 \/ 111 0 222<\/a> oder 116 123<\/a>
per Mail und Chat unter online.telefonseelsorge.de<\/a><\/h4>\n\n\n\n
Deine Julia Amelie<\/p>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"
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